Irmgard Weber
 

Einführung von Matthias Strugalla

Ausstellungen Kahnweilerhaus (Rockenhausen) und Galerie Dis (Maastricht), 2006

"Der Erde nah" und "Im Grün" lauteten die Titel der vergangenen Ausstellungen der Malerin Irmgard Weber, und ich denke, diese Ausstellungstitel oder -motti beschreiben sehr gut das Lebensgefühl, die innere Verfassung und auch die Quelle der Inspiration von Irmgard Weber, wie auch das äußere Erscheinungsbild und die thematische Bestimmung ihrer Arbeiten. "Im Grün" bezeichnet auf lakonische Art und Weise den priviligierten Status des Farbtons in ihrem derzeitigem Schaffen, was ja nicht ausschließt, das nicht andere, oft kontrapunktisch eingesetzte Farbformen in ihren Bildern zu finden sind.

Bereits als Kind, so die Malerin, habe sie in der grünen Wiese gelegen, ganz hingegeben den Gedanken des Augenblicks, die Kühe sich selbst überlassend, die sie eigendlich hüten sollte, einfach nur eingebunden in das sommerliche Treiben der Natur. Abheben ein wenig, im Schwebezustand die Balance halten zwischen Himmel und Erde, letztlich geerdet bleiben, sich nicht zu weit vom Ursprung, dem ganz realen Nährboden entfernen, die Quellen also im Auge behalten, das ist die ihrer Malerei innewohnende Botschaft.

Irmgard Weber hat sich immer zu ihren biographischen Wurzeln bekannt, sie hat stets die gewachsenen Verbindungen ihrer Kindheit und Jugend gepflegt und den naturgegebenen Kräften im jahreszeitlichen Kontext wie Wachsen, Gedeihen und Fruchtbringen aber auch den damit verbundenen harten physischen Einsatz in ihren Bildtiteln, in Form, Gestus und Farbe Ausdruck verliehen. Vernebelte Felder,verschlämmte Wiesen, versonnte Getreidefelder, kleine Waldstücke und Pflanzenreihen finden sich in groß- und kleinformatigen Bildern wieder: nicht realistisch, aber als Erinnerung in fortdauerndem und oft anstrengendem Malprozeß weit jenseits romantisierenden Zeitgeistes.

Die Farbfelder der vergangenen Jahre haben sich jedoch verdichtet, sind fester und tiefer
geworden, eindringlicher. Sumpfblüten tauchen jetzt auf, das Motiv des Schwimmers, Köpfe, Masken, Bootsrümpfe, Baumstämme. "Der Erde nah" lasten die Formen, sie greifen nach unten, recken sich himmelwärts. Körbe öffnen sich, Flügel und Blüten hängen schwer, werden in der Schwebe gehalten, treiben im nassen Grund. Konkongitter verspannen die scheinbaren Leer- und Zwischenräume, wie graphische Zeichen entwachsen unvermittelt starke, organische Formen den hellen Gründen, scheinen ihnen vorgelagert, eröffnen unterschiedlich tiefe Räume.

Und Grün als dominanter und viele Bilder verbindender Faktor: Vegetation pur, unendlich reich variiert, gebrochen, abgewandelt. Im Türkis, zum Beispiel, geradezu unverschämt nach vorne drängend ("Fußwäsche"). Dagegen Blau als feste, kompakte Farbform ("Figur, blau"). Und dann die Aufhellungen, Zumischungen, Wendungen zu den Farbtönen der Transzendenz, die das Schweben, den Schwebezustand im Bild materialisieren:g raublau, gelbgrau, wassergrün, wolkenrosa, nie süßlich.

Leichter, tranzparenter aber auch überschaubarer, konzentrierter und beruhigter und vielleicht auch erzählerischer sind ihre Bilder geworden. Dazwischen freche, manchmal etwas verspielte, lichte Kleinformate: Beobachtungen des Lichts der Felder, launige Capriccios, unverstellt und direkt, Körbe und andere Utensilien oder Kleidungsstücke. Die Spannweite der Möglichkeiten schließt reduzierte, fast gezeichnete Figurenkompositionen mit ein, die den zerbrechlichen, weil in seier Exsistenz bedrohten Menschen thematisiert; oder die Masken als bedrohliche und geheimnisvolle Spiegelbilder.

Eine weitere Möglichkeit: die Serie frecher Weibsbilder, lang bezopft, unernst-ernst die Geschlechterrolle reflektierend. Oder der Mensch, die Pflanze - der Mensch als Pflanze(?) - in der Ursuppe paddelnd. Auch wenn der Titel völlig unpathetisch den idyllischen Waldsee im Wasgau im Herzen des Pfälzer Waldes nennt. Die Figur als Kreatur im immerwährenden Prozeß des Werdens und Vergehens gezeigt.

Irmgard Weber bevorzugt in der Regel den pastosen Farbauftrag, relativiert dessen vordergründige Materialtät jedoch, indem sie die noch feuchte Farbschicht mit dem Spachtel wegkratzt oder mit nassem Lappen auswischt und damit die darunterliegenden Schichten freilegt, die wiederum übermalt und unscharf gemacht wurden. Kratzen, Waschen, Lavieren nehmen der Bildoberfläche Gewicht und Verschlossenheit, verleihen ihr dagegen einen Hauch von Leichtigkeit, Flüchtigkeit und Transparenz. Irmgard Weber sucht das was hinter der puren Form und der festen Oberfläche liegt: Tiefe, Dichte und Rätsel.

In diesem Sinne durchmisst die Malerin den jeweils definierten Bildraum, läßt Figurativ-Gestisches ausgreifen, sich strecken, sich ducken, ausholen. Sie verspannt die Leinwände zu spannenden, sinnlichen Metaphern von So-Sein, von Werden und Vergehen, in denen sich "das Leben selbst erkennt", wie Dieter Wellershoff es einmal ausgedrückt hat, urwüchsig, existenziell.


Auszüge aus dem Katalogtext "Standbilder" von Dr. Beate Reifenscheid, Ludwig-Museum, Koblenz

"Das, was auffällt, sind die amorphen Formen, die sehr wohl etwas Gärendes, im Wachstum begriffenes oder in Bewegung befindliches ausdrücken. Nichts scheint wirklich starr zu sein, vielmehr ist alles in eine subtile, manchmal kaum merkliche Schwingung versetzt, die nicht allein auf das Bildfeld limitiert ist. Die auf den ersten Blick so kargen Zeichnungen, ohnehin fast spröde, da sie sich jetzt nicht mehr optisch so rasch vereinnahmen lassen, wirken wie in oszillierendem Zustand, wie in ständigem Wechsel zwischen dem einen und dem anderen Seinszustand. Die sparsamen Farbstufen zwischen Weiß, Grau und Anthrazit steigern das Empfinden zwischen Kommen und Gehen, Werden und Vergehen, und damit auch die Charakterisierung der Welt als ein nur transitorisches Stadium. Dennoch verflüchtigt sich das Bildgeschehen nicht im Beliebigen, vielmehr bilden sich Zonen der Verdichtungen, Verknotungen, Verankerungen und Vergitterungen, die alles Entfliehende abfangen und verorten.

In den Gemälden setzen sich wesentliche Aspekte der Zeichnung fort, die hier auf Grund einer reichen Koloristik wieder wesentlich stärker auf deskriptive Elemente ausgerichtet sind und dennoch gleichermaßen eine vollständige Entschlüsselung verweigern. Aber hier, so will es scheinen, sind die Bezüge, die sich vom Gegenständlichen ableiten, vergleichsweise sekundär, denn der Blick des Betrachters wird eingefangen von einem Farbgefüge, das kompliziert und einfach zugleich anmutet. Vor allem in den neuesten Arbeiten herrscht ein Grundton deutlich vor, dem sich eine Vielzahl zarter Farbvaleurs unterordnet, die ihrerseits für den koloristischen Gesamtakkord wichtig sind. Schicht um Schicht überlagern sich nun Farben, so dass ein konsistentes Farbspiel entsteht, in dem die Farbe sich selbst genügt und mit ihr die Dimensionen von Raum und Zeit.

Irmgard Webers Kompositionen umkreisen die essentielle Auseinandersetzung von Mensch und Natur, suchen nach einer friedvollen Koexistenz des einen mit dem anderen und scheinen doch ganz freiwillig der Natur den Vorrang lassen zu wollen. Der Mensch spielt bei ihr in letzter Konsequenz nur schemenhaft, quasi als Muster, eine Rolle, wohl wissend, dass die menschliche Figur, das Individuum, nur als eine - wenngleich wesentliche - Randerscheinung im Werden und Vergehen von Zeit und Raum anzusehen ist.

Irmgard Webers Arbeiten veranschaulichen glaubhaft, wie sehr aus dem individuellen Tasten und Suchen nach gültigen Wahrheiten im Leben die Natur und der Mensch in ihrer Bedingtheit und ihrem Gefangensein auf einen weit größeren Kontext verweisen: Sie sind auf eindringliche Art malerische Reflexion als Vergewisserung über diese Ahnungen".